7. Tag: Pori - Vaasa

Pori, 10:20 Uhr. Wir rollen dick einpackt vom Platz. Wir hatten schon eine leckere Tasse Kaffee und ein paar Gifflar, bevor wir uns seufzend ins Regenzeug gewunden haben. Es ist düster draußen und es regnet. Mit 12°C ist es auch nicht zu warm. Unseren Gastgeber sehen wir nicht mehr, der ist vermutlich längst zur Arbeit gefahren.

Die E8 zieht sich unendlich gerade in den Norden. Die wenigen Kurven nehmen wir gar nicht als solche wahr. Links und rechts sehen wir schüttere Wälder aus Birken und Föhren und ganz selten ein winziges Dorf. Klingt langweilig, ist es auch. Naja, nicht ganz! Wir grübeln schon seit gestern, warum uns an der Autobahn links und rechts tiefe Gräben vom Unterholz trennen.

Jetzt ist es uns klar! Alle paar Kilometer warnt ein deutliches Schild vor Elch-Wildwechsel! Die Gräben sollen den Tieren wohl das schnelle Überqueren der Straße erschweren. Oder sind das Wassergräben, die eine Überschwemmung der Straße vermeiden sollen? Wäre auch sinnvoll, denn es schüttet mittlerweile durchgehend wie aus Kübeln. Zur Sicherheit beobachten wir während der Fahrt konzentriert den Waldrand. Niemand braucht einen 600 Kilogramm schweren Paarhufer, der überraschend vor den Vorderreifen springt!

Wir wollen kurz raus aus dem Regen und halten bei einer kleinen Raststation am Straßenrand. Doch welche Enttäuschung! Heute Mittwoch ist Ruhetag. Mist! Na dann trinken wir ein paar Schluck vom Zaubertrank aus der Thermosflasche und begnügen uns mit ein paar Fotos der pittoresken Steinbrücke, die hier über einen wild rauschenden Bach führt.

Nach gut 50 km ist uns fad geworden und wir biegen spontan nach links in den Wald. Ein fast einspuriger Weg führt uns zwischen dichten Bäumen direkt zur Ostsee. Es wird kurviger und abwechslungsreicher, als wir den auf unserer Karte verzeichneten "Rantatie" nach Merikavia nehmen. Wir wissen, dass in Finnland auch Schwedisch als Amtssprache gilt und so können wir die Schilder gut entziffern: "Rantatie" = Strandvägen. Schwedisch versteht man besser.

Leider hält der Rv6600 nicht das, was er verspricht! Wir sehen von der Ostsee keinen Tropfen Wasser. Zu weit im Landesinneren führt der Strandweg gen Norden! Aber wir sind zufrieden. Es hat fast zu regnen aufgehört und die Straße besteht aus kurvigem, schlechten Asphalt. Endlich Abwechslung! Ausserdem gibt es hier schwedisch-schöne Häuschen zu sehen, die meisten in leuchtendem Falun-Rot!

Bei Siipyy/Sideby werfen wir abrupt Anker. Mitten im Wald erhebt sich ein gigantischer Kirchturm aus gelbem Holz. Das schaut aber ungewöhnlich aus! Weil das Tor verschlossen wirkt, steigen wir erst gar nicht ab. Wir machen ein paar Fotos, während die Transalps in die kühle Waldluft bollern. Neben dem Tor lehnt eine bleiche, ausgezehrte Gestalt mit nur einem Bein. Der schaut unheimlich aus! Ist der echt? Oder wer war das einmal? Wir erinnern uns an die Gruselgeschichte vom "Luftg´selchten Pfarrer" in Didis Heimat und schauen nicht näher nach. Fahren wir lieber weiter!

Und ist schon länger nach einer erholsamen Pause. Immer wieder nieselt es und das Fahren auf der rutschigen Straße ermüdet uns. Wir entschließen uns, nach Kristinestad zu fahren; der finnische Name "Kristiinankaupunki" klingt in unseren Ohren so witzig! Hier sind alle Ortsschilder zweisprachig, denn in dieser Region leben überwiegend Finnlandschweden. Ob die Story stimmt, dass jene ihre Bußgelder nicht zahlen müssen, wenn sie ihnen auf finnisch vorgeschrieben werden, wissen wir nicht! Sie wurde uns aber mit Überzeugung erzählt!

Infobox

Etwa 250.000 Menschen (5% der Bevölkerung) sind Angehörige der anerkannten Minderheit der Finnlandschweden. Sie leben hauptsächlich auf den Åland-Inseln und am Küstenstreifen Österbottens und ihre Muttersprache ist Schwedisch. Sie sind die lebendige Erinnerung an die ~700 Jahre, die Finnland zu Schweden gehörte und zahlreiche Menschen aus dem Osten anzog.

In zweisprachigen Gemeinden müssen alle Beamte gute Sprachkenntnisse in beiden Sprachen haben, Ortschilder zweisprachig sein (die Mehrheitssprache zuoberst!), jedem seine Rechte in seiner Muttersprache verlesen und beide Sprachen verpflichtend an den Schulen gelehrt werden. Gegen letztere Bestimmung sprachen sich bei der letzten Abstimmung nur - surprise! - die finnischen Rechtspopulisten aus.

Wir sind ziemlich genau 100 km gefahren, als wir im grauen Niesel an der Raststation "Neste Kristiinankaupunki" halten. 13:00, Mittagessen! Die Tankstelle mit angeschlossener Imbissbude bietet gemütliche Plastiksessel, eine gut geheizte Ecke und Burger in allen Variationen. Wir deuten freundlich lächelnd auf eines der Bilder über der Theke und das nette Mädchen versteht. Finnland - das Land, in dem wir uns manchmal mit "Händ und Füß" verständigen müssen!

Oh, das schmeckt so lecker! Wir spülen den saftigen Burger mit ein paar Tassen Kaffee hinunter und holen uns noch ein klebriges Keks zum Nachtisch. Sollen wir über die Brücke in die Stadt fahren? Wir haben gelesen, dass die Innenstadt von Kristiinakaupunki über 3000 idyllische Holzhäuser beherbergt! Aber wollen wir uns im Regen die Zeit nehmen? Nein, das ist fürs nächste Mal! Bei Schönwetter.

Unter den unbeteiligten Blicken der anwesenden Arbeiter legen wir wieder unser Regenzeug an, machen alles wasserdicht und stiefeln aus dem Lokal. Es ist kalt geworden. Mit einem leichten Druck auf den Startknopf erwachen unsere zuverlässigen Transalps zum Leben. Was für tolle Reisemotorräder! Die Leute von Honda 1999 machen uns die Entscheidung für einen Umstieg auf modernere Fahrzeuge nicht leicht!

Wir verlassen die Kleinstadt auf der schnurgeraden E8. Viele Kilometer geht es geradeaus durch die immer gleichen schütteren Wälder mit ihrem dichten Unterholz. Nur ab und zu haben Holzarbeiter die Bäume entfernt und ein steiniges Feld der Verwüstung hinterlassen. Plötzlich lichtet sich der Wald und Angelika biegt so überraschend wie schwungvoll auf den Rv673 nach links ab. Genug Autobahn für heute! Nehmen wir wieder den Strandweg nach Vaasa! Den Strandweg ohne Strand, der so weit von der Ostsee entfernt verläuft.

Wir lassen die Transalps am langen Züge dahinlaufen und hängen unseren Gedanken nach, während wir durch falun-rote Orte wie Nämpnes, Norrnäs und Korknäs tuckern. Es hat etwas Meditatives, mit den erlaubten 80 km/h gemächlich dahinzurollen. Auch wenn in regelmäßigem Abstand vor Elchen gewarnt wird und die tiefen Gräben am Straßenrand ein deutlicher Aufruf zur Konzentration sind.

Es hat endlich zu regnen aufgehört, als wir nach etwa einer Stunde Fahrt das bunte Plakat eines Strandrestaurants erkennen. Kaffeepause! Gerade noch rechtzeitig können wir die Hondas einfangen und mit aufheulender Schubumkehr scharf links in den kleinen Weg Rv6732 einbiegen. Das war knapp, denn Umdrehen oder Zurückpaddeln gilt nicht!

Nach ein paar hundert Metern sind wir da! Wir sind in Moikipää/Molpe und endlich sehen wir das Meer! Rechter Hand dümpelt die graue Ostsee im Nebel. Die Bootsverleihe und Outdoor-Sportanbieter sind heute verwaist. Bei Besserwetter ist der Kvarken Archipel, auf dem wir uns nun befinden, ein Sportler- und Abenteuerparadies! Genauso verlassen wie die Sportstätten ist auch das Ravintola, wegen dem wir hier sind. Das Restaurant! Wir haben - nach "Kaffee" - soeben das zweite wichtige finnische Wort gelernt!

Wir rollen auf den kleinen Schotterparkplatz des Restaurants und schauen uns um. Hier ist es ruhig und ausgestorben. Wir schauen uns überrascht an. Um Himmels Willen! Wo kommt denn der ganze Dreck her! Die Transalps und wir, wir sind völlig eingesaut! So wollen wir nicht in das Lokal, das auch auf den zweiten Blick ziemlich nobel wirkt. Weißt du was? Wir holen uns einfach einen Kaffee "to go" (á 4.-) und bleiben im Freien, beschließen wir missmutig.

Kurz darauf hocken wir im hübschen Gastgarten und halten Becher mit dampfendem Kaffee in der Hand. Die Leute im Restaurant waren wirklich nett und wollten uns einladen, hereinzukommen. Aber da hätten wir uns nicht wohlgefühlt. Außerdem regnet es nicht mehr! Wir gucken in die Karte und stellen fest, dass wir noch etwa 40 km bis zur Unterkunft haben. Fahren wir lieber weiter, wir sind schon müde und es ist schon 16:30.

Als wir uns auf dem Rv673 "Strandvägen" Vaasa nähern, wird der Verkehr deutlich stärker. Es ist immer eine Herausforderung, ohne Navi in einer Stadt ein bestimmtes Haus zu finden! Immerhin hat diese Kleinstadt fast 70.000 Einwohner. Wir machen einfach so wie immer! Zuhause haben wir uns den Weg eingeprägt und Bilder davon studiert. Wir versuchen, mit Karte den Bezirk zu finden und dann nach Bauchgefühl und - nur wenn nichts mehr geht - dann das Navi von Googlemaps mit den Handy-Kopfhörern unterm Helm.

Hochkonzentriert rollen wir nun die E12 entlang und auf dem Rv724 in den Norden der Stadt in den Bezirk Gerby. Ah, da ist der Kreisverkehr und der große Supermarkt gegenüber! Einmal links herum und schon erkennen wir das gesuchte Gebäude. Nur kurz später tuckern wir auf den weitläufigen Schotterparkplatz unserer Unterkunft. Geschafft! Diesmal ganz ohne die Hilfe von Larry Page! Es ist genau 17:15.

Wir haben beim letzten Kaffee unsere Ankunft angekündigt und deshalb eilt ein Angestellter der Vermieter jetzt herbei und führt uns in unser Appartment. Gottseidank bekommen wir eines im Erdgeschoß! Das Zimmer ist wirklich hübsch! So hübsch, dass wir es mit unseren eingesauten Klamotten gar nicht betreten wollen. Wir schnappen uns den großen Schwamm aus dem Gepäck und reinigen das Zeug unter einer Wasserleitung an der Außenmauer des Quartiers.

Später werden wir noch ein gutes Travellunch löffeln, bei einem kleinen Spaziergang beim großen Supermarkt nebenan ein paar Kleinigkeiten besorgen und unsere erste finnische Sauna besuchen. Die ist nämlich in unserem Badezimmer eingebaut! Müde aber erfrischt werden wir den Abend dann mit einem Glas Wein und Käsecrackern am kleinen Balkon unseres Appartments ausklingen lassen. Morgen wird ein aufregender Tag!

Tageskilometer: 260 km

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Ein unauffälliger Reisetag...

Fad

Das klingt alles ein wenig langweilig, oder? Hat es euch zu diesem Zeitpunkt in Finnland gefallen? :-)

LG TinA

Zaubertrank

Häh, Zaubertrank ohne Zucker, ohne Alkohol? Das ist ja wie Wildschwein in Pfefferminsauce oder eben englischer Zaubertrank.

Häuser nur mit Nummern ohne Straßennamen, wie es vor einigen Jahrzenten üblich war, sind sehr mühsam zu finden, da man auf die ehemalige Hausnummer auch verzichten kann. "Die Leute wissen wer hier wo wohnt." Auch ganz trefflich im Sudetenland nachzuvollziehen.

Antw.:Zaubertrank

Unser Zaubertrank ist auf Motorradreisen immer dabei! :-) Im Norden warm, im Süden kalt. Und man soll ja viel trinken, oder?
LG Geli

An der Westküste...

Bislang nimmt mich Finnland noch nicht so gefangen, dass ich nächste Woche schon losfahren wollte, aber nun seid ihr auch auf großen Straßen an der Westküste nach Norden unterwegs.
Ich bin gespannt, ob es auch den Osten Finnlands zu sehen gibt auf dieser Reise. Und natürlich, ob es wieder Rentiere zu sehen gibt.
Aber können wir ja jetzt noch nicht wissen, näh?!
Lieben Gruß
Svenja

Antw.:An der Westküste...

Es war zum Glück nicht so fad, wie es klingt. :-) Aber du hast schon Recht! Der finnische Westen ist bei weitem nicht so interessant wie der Osten. Oder ist er? Schon am nächsten Tag gab es ein kleines Abenteuer!
Geli

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zuletzt aktualisiert am 17.4.2024