11. Tag: Honningsvåg - Alta - Burfjord

Als wir frühmorgens aus der Hütte treten, empfängt uns trübes Nieselwetter. Wir sind ein bissl enttäuscht, denn wir sind noch ganz erfüllt von dem gestrigen Sommertag, der uns nach einer Reihe von kalten Regentagen wie ein Wunder erscheint. Nun hat uns das gewohnte Wetter wieder. Seufzend rühren wir ein Häferl Kaffee an und packen unsere Sachen, während wir an ein paar Keksen knabbern.

Um 8:45 rollen wir langsam vom Platz. Es hat angenehme 8°C und es ist trocken. Fragten wir uns bei der Abreise 2017 noch sentimental, ob wir hier jemals wieder herkommen werden, so sind wir diesmal gelassen. Wir haben es zwei Mal geschafft. Wir können es also wieder schaffen, wenn wir wollen. Wir können jederzeit wiederkommen!

Während wir ein letztes Mal auf die bunten Häuschen von Honningsvåg schauen und dem rot gestrichenen Vandrerhjem Lebewohl sagen, kommt trüb-milchiger Sonnenschein hervor. Das stimmt uns optimistisch!

Wir wollen nämlich erstmals auf den berühmt-berüchtigten "letzten 100 km zum Nordkapp" eine kleine Pause einlegen und die Stille genießen. Diese Strecke versuchten wir bisher jedesmal nur, schnell und unbeschadet zu überstehen. Wir hatten im Sauwetter 2x kein Auge für die Gegend oder die dramatische Verlassenheit der Küstenlinie.

Oft müssen wir hart herunterbremsen, weil die in Tarnfarbe gekleideten Rentiere quasi unsichtbar sind. Bis sie direkt vor unsere Vorderreifen stolpern! Mehrmals hatten wir mehr als Glück. Was umgekehrt auch für die Rentiere gilt...

Wir wedeln uns gerade mit den Händen das Zeichen für "Pause" zu, als ein pelziger Polarfuchs vor uns die Straße überquert. Obwohl er mit seiner gefiederte Beute im Maul nicht schnell laufen kann, schaffen wir kein Foto. Uns ist kalt geworden und wir können die Kameras nicht so schnell aus dem Tankrucksack nesteln. Wir sind 60 km gefahren, als wir in einer kleinen Ausweiche an der Wasserkante ausrollen.

Wir stehen lange hier neben der E69 und betrachten die unwirkliche Gegend von Magerøya. Vor uns breitet sich das unendliche graue Wasser des Europäischen Nordmeers aus und hinter uns ragen glatte Felsen dunkel in die Höhe. Wir nehmen die absolute Stille in uns auf. Das einzige Geräusch sind kleine Wellen, die an den geometrischen Formen des Schiefergesteins am Ufer brechen. 

Wir brechen ein Stück graues Gestein ab und zerbröseln es zwischen den Fingern. Wir wissen, dass dieses Gestein vor aberwitzig vielen Millionen von Jahren entstand. Lange, bevor Magerøya von einem eiszeitlichen Eispanzer bedeckt wurde, der bis ins Kirnitzschtal in der Sächsischen Schweiz reichte. Ein faszinierender Gedanke, zumal wir dort voriges Jahr durchgefahren sind!

Ein Blick zum Himmel holt uns ins Heute zurück. Wir schlüpfen angesichts dessen düsteren Farben lieber ins Regengewand - und sei es nur gegen die Kälte. Es hat nur mehr 5°C, als wir Richtung Olderfjord weiterfahren. Um etwa 11:00 haben wir das Russenes Kro erreicht: Frühstückszeit!

Wir kennen den Apfelkuchen und die Waffeln hier als besonders lecker, aber jetzt muss etwas Handfestes her. Wir entscheiden uns für den enormen Burger mit Pommes. Und dann Apfelkuchen. Wir essen schweigend und spülen mit einigen Tassen vom Gratis-Refill-Kaffee nach.

Wir sind unruhig. Vorgestern zeigte uns hier ein Norweger die Schneefahrbahn am Sennalandet und die Schneeräumung. Wie das wohl heute dort ausschaut? Ausserdem sind wir etwas müde. Der gestrige Tag war für Erholung und Ausschlafen etwas knapp...

Wir checken noch die entsprechende Webcam und unsere neue Wetter-App "Yr", die uns bisher nicht im Stich gelassen hat. Es schaut eigentlich ganz gut aus! Um 12:00 klettern wir auf die Transalps und es geht los. Wir biegen rechts auf die E6 ein, die in langgezogenen Kurven leicht bergauf führt. Wir haben dieses Fjell von 2017 noch in guter Erinnerung!

Was wir in weniger guter Erinnerung haben, ist der Sturm, der hier von vorne brutal angreift. Wir legen die Transalps in Schräglage und kämpfen uns über die menschenleere Hochebene. Solange es nicht regnet, ist das irgendwie ok.

Kaum haben wir den höchsten Punkt des Fjells erreicht, fängt es zu regnen an. Der Sturm treibt den Regen quer und wir fahren mit zusammengebissenen Zähnen weiter. Meine Güte, ist das mühsam! Für die 25 km nach Skaidi brauchen wir eine halbe Stunde. Soll das ein Vorgeschmack auf das nächste Fjell sein? Das mit der Schneefahrbahn?

Bei Skaidi haben wir es eilig, bevor der Regen stärker wird. Wir eilen in den kleinen Shop neben dem berühmten Diner und besorgen uns ein besonderes Schlossöl. Wir konnten Angelikas Koffer heute morgen fast nicht schließen, so beleidigt ist der italienische Sperrmechanimus! Auf unsere Frage, ob das Öl da wohl gut ist, antwortet der Verkäufer lachend: "If this doesn´t work, it´s broken."

Er hatte Recht! Zwei Tropfen Öl später fühlen sich Angelikas Koffer wie neu und wir können weiter. Wir haben Respekt vor der kommenden Etappe und wir lenken die Transalps an der Kreuzung vorsichtig durch den Regen links Richtung Alta. Die Straße steigt in weiten Kurven sofort leicht an. "Sennalandet - Åpen" steht auf dem großen Schild am Straßenrand. Das ist gut, wir haben Glück! Das hier gilt als Bergstrecke, 385 m Seehöhe ist für dieses Land hoch.

Die Schneeräumung hat ganze Arbeit geleistet, der Asphalt ist nur nass. Wir sehen die Reste des gestrigen Winters am Straßenrand. Wir sind nun auf der kargen Hochebene des Sennalandet und kämpfen entlang dem unaussprechlichen Fluß Goahtemuorjohka. Der Sturm kommt nun von rechts und wirft uns in eine böse Schräglage. Noch 50 km geradeaus...

Aus den Augenwinkeln sehen wir rechts eine winzige hölzerne Kapelle und 2-3 kleine Hütten. Auch links stehen klitzekleine weißgestrichene Gebäude verstreut über die Ebene. Das muss Àisaroaivi sein! Eines der kleinen Sami-Dörfer hier! Unvorstellbar, hier im Repparfjorddalen zu leben. Ein Blick aufs Thermometer zeigt 2°C. Angelika überschlägt kurz im Kopf den Windchill-Faktor: gefühlte -14°C. Ja, das kommt gefühlt ziemlich hin...

Mehr Sorgen als der Sturmwind, der unaufhörlich an uns zerrt, machen uns die dichten weißen Wolken da vorne. In der Ferne sind die Berge tief verhangen und als Alpenländler interpretieren wir diese Wolken als Schneewolken. Das ist nicht gut! Wir müssen genau in diese Richtung! Wir bremsen nebeneinander und atmen kurz durch. Wir machen eine kurze Pause, ohne aus den Sätteln zu steigen. Die Transalps schwanken bedenklich im Sturm.

Nach einer gefühlten Ewigkeit haben wir das Sennalandet hinter uns gelassen und es geht langsam aber stetig bergab. Der Niesel und die dürftige Vegetation haben uns wieder. Die vertrauten arktischen Krüppelbirken schützen wenig vor dem Sturm aber jede Erleichterung ist willkommen.

Die Schneewolken halten dicht als wir am zugefrorenen Leirbotnvatnet auf einem schlammigen Parkplatz halten und im Regen ein paar Schluck Heißgetränk aus den Thermosflaschen nehmen. Puuhhh, immer noch 2°C und saukalt! Nur eine kurze Pause!

Die Landschaft wird nun lieblicher und grüner und nach einigen langgezogenen Kurven sind wir um 15:00 in Alta. Es nieselt durchdringend, als wir uns unter das schützende Dach der ersten CircleK-Tankstelle retten, die wir sehen. Wir müssen uns unbedingt aufwärmen und wir brauchen Kakao und etwas Süßes für die Seele! 

Es ist finster im Land der Mitternachtssonne, als wir die leckeren Vanilleteilchen mit dem letzten Schluck gratis varm sjokolade aus dem Jahresbecher hinunterspülen und weiterfahren. Nach den letzten Tagen durch die Einsamkeit der Finnmark kommt uns die 20.000-Einwohner-Stadt unglaublich hektisch und laut vor. Was für ein Verkehr hier herrscht!

Wir sehen den kleinen Flughafen, auf dem wir landen werden, wenn wir dann im Winter... Aber das ist eine andere Geschichte!

Wir bleiben auf der E6 und freuen uns über die bekannte Strecke! Als wir am berühmten Freilichtmuseum der Felszeichnungen vorbeikommen, erinnern wir uns an den Besuch dieses UNESCO-Weltkulturerbes. Das war 2017 ein tolles Erlebnis!

Es sind noch etwa 80 km bis zum Campingplatz und wir drehen jetzt etwas am Gas. Es ist 15:30 und wir haben noch etwas vor. Zügig kurven wir den Altafjord entlang und freuen uns, dass nun tatsächlich etwas die Sonne heraus kommt! Wir machen noch eine Aufwärmpause und naschen ein paar Kekse und Lakritz.

Als wir vor zwei Jahren schon mal hier waren, erfuhren wir vom Øksfjordjøkelen: ein Gletscher, der ins Meer kalbt. Den wollen wir jetzt sehen, auch wenn in Fahrtrichtung dunkelschwarze Wolkenberge aufziehen! In Langfjordbotn biegen wir scharf rechts ein. Ein Schild weist zum Gletscher.

Wir holpern einen einsamen Singletrack entlang. Nur vereinzelt stehen kleine Bauernhöfe an den Hängen und ein paar Einwohner beobachten uns neugierig. Wir wissen, dass die Zufahrt zum Gletscher etwa 10 km lang ist und deshalb werden wir mißtrauisch, als wir nach 15 km im Nirgendwo stehen. Verdammt! Haben wir uns wirklich verfahren? Auf jeden Fall haben wir jetzt keine Zeit mehr, denn die schwarzen Wolken kommen rasch näher.

Wir wenden schnell und hinterlassen eine veritable Staubwolke, als wir auf dem Schotterweg zurückdüsen. Jetzt aber Gas geben! Wenn dieses Unwetter da oben auslässt, dann sind wir verloren! Ohne links und rechts zu schauen, brettern wir die paar Kurven bis zum Arctic Fjord Camp. (Trotzdem erkennen wir kurz vor unserem Ziel aus den Augenwinkeln das Schild, das auf den richtigen Weg zum Gletscher führt...)

Schnell düsen wir den kleinen Schotterweg hinunter zur Wasserkante des Kvænangenfjords, einem kleinen Seitenarm des Altafjords. Endlich geschafft! Wir bremsen schwungvoll an der kleinen Rezeption und eilen hinein. Wir bekommen die Hütte "Redet", die wir uns so gewünscht haben. In diese Unterkunft - die wir in Svenjas Reisebericht entdeckt haben - haben wir uns 2017 schon verliebt!

Schnell den Hang hinauftuckern, Transalps hinter die Hütte parken, Gepäck ins Gebäude werfen und ... in dem Moment geht ein Unwetter nieder, das seinesgleichen sucht. Es scheint, als hätte es noch seine bösen Geschwister zu Hilfe geholt! Schlagartig wird es finster und der Regen scheint kein Ende zu nehmen!

Wir grinsen uns an. Das kann uns nichts mehr tun! Es ist 17:30, als wir es uns in der geliebten achteckigen Hütte gemütlich machen, Travellunch anrühren und die übliche Abendroutine beginnen. Die heiße Dusche tut besonders gut, es hatte den ganzen Tag nur um die 5°C. Wir versorgen und reinigen unser Zeug und gucken ein wenig norwegisches Wetter-TV.

Wir sind müde. Die Kälte und Nässe der letzten Tage haben ziemlich an uns gezehrt. Und draussen regnet es aus finsteren Wolken ohne Pause. Es ist gegen Mitternacht, als wir uns eingestehen: Wir wollen hier nicht weg. Wir wollen morgen bleiben! Ob wir die Hütte, die den passenden Namen "Nest" trägt, behalten können?

Eine kurze Frage per SMS an die Chefin vom Campingplatz und nur Minuten später kommt ihre Antwort: "We´ll make that work. Stay til monday and relax!" Es ist fix: Morgen am Sonntag schlafen wir aus! Auch wenn wir deshalb übermorgen dann etwa 600 km, nämlich zwei Tagesetappen bewältigen müssen...

Mit ein paar Klicks am Smartphone ist das morgige Quartier in der Nähe der Insel Senja kostenlos storniert. Zufrieden mit unserer Entscheidung gehen wir schlafen. Gute Nacht, Norwegen!

Tageskilometer: 295 km

Hier geht die Reise weiter: >klick

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Ein anstrengender Tag und eine Entscheidung!

Norwegen

Unglaublich mit welcher Hartnäckigkeit ihr, bei - in diesem Fall Kälte und Nässe, euer Ziel verfolgt. Alle Achtung. Wenn man 8°C als das Beste bezeichnet, dann sagt das schon etwas aus. Jetzt bin ich gespannt, ob die nächste Reise nach Frankreich führen wird. Nichts desto trotz freue ich mich auf den fertiggestellten Reisebericht dieses Abenteuers, wobei ich ob der Wetterumstände eine gewisse Euphorieverdrossenheit beim Schreiben verstehe. LG aus dem Erdgeschoß ;-)

Antw.:Norwegen

Hi Wolf! :-)
Tja, dieser Tag war wirklich ziemlich *hmpf*. Vor allem nach dem Superwetter am Kap!
In der Hütte war es so geil, das glaubst du nicht! Auch wenn es dann am nächsten Tag ... aber irgendwas is ja immer.

Frankreich, hm? Derzeit denken wir an Normandie/Bretagne oder das Perigord. Wir warten noch auf ein paar Eindrücke von Svenja (https://www.svendura.de).

Grüße aus dem HP4!
Angelika

Die letzten 100 km zum Kap...

< Es hat angenehme 8°C und es ist trocken.

Ein Tag, der mit "angenehmen" acht Grad beginnt, ist mir von Anfang an suspekt. Nun, mal sehen wie es weiterging.

< letzten 100 km zum Nordkapp
Das ist eine irre Strecke. Die Einsamkeit, diese Verlassenheit habt ihr toll eingefangen. Die Bilder gefallen mir ganz prima. Ich liebe diese Strecke. Aber eben nicht bei Wetter. Da ist es hart und die Natur ist feindlich.

Das Essen in Olderfjord sieht prima aus. Handgeschnitzte Pommes und ein Burger aus dem Vollen gehauen. Oh ja!

Ich hab mich gefreut, Skaidi wiederzusehen. Und Didi neben seiner Transalp. Trotz allem habt ihr euch nicht unterkriegen lassen. Ja, so sind die Österreicher :-)

Und von da an wirds trostlos. Das Licht, die fehlenden Farben, Wasser, Eis und Schnee. Brrrr...

Aber die Hütte im Arctic Fjord Camp entschädigt für vieles. Habt ihr übrigens gesehen, dass da ein Flachbildfernseher in der Ecke steht? Sogar mit Apps, Netflix und so. Ich meine, den hatte ich damals im Zelt nicht. Hmpff...

Klasse Story. Ich bin gespannt, wie es weitergeht.

Liebe Grüße aus Kiel.
Svenja und Pieps

Antw.:Die letzten 100 km zum Kap...

Ja die 8°C waren das beste, das wir an jenem Tag kriegen konnten. Danach gings bergab. :-)

Mir fällt jetzt auch auf, wie farblos diese Region ist. Wenn ich das mit den Blumen und den roten Blumentöpfen in D´Orcival vergleiche? Schon arg! :-)

Didi bekräftigte schon 2017, mal länger in dieser Hütte urlauben zu wollen. Tja, und jetzt war es so weit. Die "Unerschrockenen" brauchten eine unvorhergesehene Pause. ;-)

Das mit Apps und Netflix war dann für den nächsten Tag. Kommt gleich!

Umarmung
Geli


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zuletzt aktualisiert am 18.3.2024